Orgel der alten Ulmer Synagoge

Die Ulmer Synagoge wurde am 12. September 1873 von Rabbiner Wälder aus Laupheim eingeweiht. Sie war von Anfang an mit einer Orgel der Orgelbaufirma Goll, Bissingen mit zwei Manualen und 26 Registern, die 4855 Gulden kostete, ausgestattet. Im Jahre 1911 erhielt sie eine neue pneumatische Kegelladen Orgel der Orgelbaufirma Gebrüder Link, Giengen, op. 544 mit zwei Manualen und 21 Registern. Orgeln waren in den liberal-fortschrittlich jüdischen Gemeinden durchaus üblich, wurden aber vom orthodoxen Judentum abgelehnt.
1916 mussten die Zinn-Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken abgeliefert werden. 1920 wurden die Prospektpfeifen wieder durch LINK ersetzt.

In der Reichsprogromnacht 1938 wurde die Synagoge von den Nationalsozialisten demoliert und in der Folge abgerissen. Die Orgel wurde von der Firma Link abgebaut und 1946 als op. 780 in der evangelischen Stadtkirche Bensheim, Bergstraße wieder aufgebaut. Die Orgel ist dort nicht mehr erhalten.
Es gibt nach meinen Recherchen und nach Aussage des Ulmer Stadtarchivs keine Bilder vom Inneren der Ulmer Synagoge und von der Orgel. Auch die Disposition der Instrumente ist nicht bekannt.

Erster Kantor an der Ulmer Synagoge war Moritz Henle (1850-1925), der der Laupheimer israelitischen Gemeinde entstammte. Er wurde am Esslinger Lehrerseminar als Religionslehrer ausgebildet und absolvierte ein Musikstudium in Stuttgart. Nach erster Anstellung in Laupheim kam er 1873 an die neuerbaute Ulmer Synagoge, an der er einen Chor aufbaute und Chormusik mit Orgelbegleitung aufführte. 1879 wechselte er auf die Stelle des Kantors an der Synagoge in Hamburg.
(vgl. Wikipedia)

Der evangelische Kirchenmusiker und spätere Kirchenmusikdirektor Karl Beringer (1866-1943) spielte ab 1901 regelmäßig in der Ulmer Synagoge die Orgel, bis er dann 1910 zum Organisten der neuerbauten Ulmer Pauluskirche ernannt wurde. (vgl. Artikel von Philip Hartmann)

1927 wurde der evangelische Kirchenmusiker Adolf Kern (1906-1976) als Organist und Kantor der Synagoge angestellt. Um in den Staatsdienst als Lehrer zu kommen mußte er 1931 diese Stellung aufgeben. Siehe auch Adolf Kern

Er hat Werke speziell für den israelitischen Gottesdienst in der Ulmer Synagoge komponiert und aufgeführt. Seine Werke sind im aka-Musikverlag erhältlich.
 
Tonbeispiel:
"Suchet den Ewigen" nach Jesaja 55,6-11
(Sopran: Anita Steuer, Orgel: Siegfried Gmeiner)

Im Jahre 2006 haben die Schüler Corinna Pöhler und Tim Lang der Ulmer Technischen Oberschule anhand von noch vorhandenen Grundrissplänen und Außenansichten die Ulmer Synagoge mit einem CAD-Programm virtuell rekonstruiert. Da Innenaufnahmen von der Synagoge nicht (mehr) existieren, wurde die Innenausstattung und die Orgel nach vorhandenen Bildern anderer Synagogen gestaltet.
Typische Stilmerkmale am Orgelgehäuse bei Synagogen waren die an den Jerusalemer Tempel erinnernden Zinnen und die "Hufeisenbögen" des maurischen Stils, wie sie auch in der Architektur verwendet wurden.

Alte Ulmer Synagoge, gebaut 1873 zerstört 1938

virtuelle Rekonstruktion Aussenansicht
(Corinna Pöhler, Tim Lang)

virtuelle Rekonstruktion, Innenansicht

virtuelle Rekonstruktion, Innenansicht mit Orgel
(Orgel von Siegfried Gmeiner)

Orgel der Synagoge in Benfeld
(Charles et Edgard WETZEL, Straßburg von 1895)

Orgel der Synagoge Bad-Canstatt
(Oscar WALCKER, Ludwigsburg, Op.853 von 1898)